IN MEMORIAM JOACHIM SCHÄFER

Johannes Heisig, "Joachim Schäfer, Lieder und Chansons", Öl/Lw., 1983, Quelle: Johannes Heisig

WERNER BERNREUTHER ÜBER JOACHIM SCHÄFER

Einer wie er fehlt uns heute noch viel mehr, als damals, als er viel zu früh von uns gegangen ist. Er war ein sanfter Mensch, nie laut, auch wenn er manchmal gesungen hat, als ob ihm die Seele explodiert und ihn von innen her zerreißt.

Er war ein Gitarrenvirtuose und beherrschte eine weite Skala der Gefühle auch mit seiner Stimme. So fand er mit seinen Liedern den Weg in die innersten Tiefen seiner Hörer. Oft sanft, oft mit heftiger Innigkeit, die wohl die Not eines gebeutelten Seins überdeckte.

Seine Kompositionen brachten zusammen mit der Kunst seines Gitarrenspiels die Lieder auf einem hohen Niveau.auf den Punkt. Er lebte wie kaum einer mit seinen Liedern und für seine Lieder. Leider viel zu kurz.

DIETER KALKA ÜBER JOACHIM SCHÄFER

Joachim Schäfer lernte ich Anfang der 80er in Karl-Marx-Stadt kennen. Ich gehörte zu einer Clique um Fidel und Toni und Viola. In jener Zeit schippte ich in Schneeberg Kohle als Heizer an der Fachschule für Angewandte Kunst, nur eine halbe Busstunde vom „Nischl“ entfernt und war desöfteren mit ihnen zusammen.

In Viola war ich verknallt, und zwar ziemlich heftig. Sie war die Freundin von Achim. Da ich ihn noch nicht kannte, störte mich das so sehr nicht, vor allem, weil sie mir immer wieder von seine Eskapaden mit Schauspielerinnen berichtete und er eigentlich nie da war. Er vernaschte eine Schauspielerin nach der anderen und fuhr mit schlechtem Gewissen schnurstracks nach Chemnitz, um es Viola zu beichten.

Irgendwann lernte ich ihn dann kennen und sang meine Folksongs vom Bettelvoigt in unserer Runde und die witzigen Landsknechtsballaden und Achim lud mich ein: nach Leipzig. Es sollte noch einige Zeit dauern, dann würde ich gleich um die Ecke wohnen. Er würde mein Gitarrelehrer sein und mir die über neunzigjährige Frau Thuemmel-Baum als Gesangslehrerin vermitteln. Die teilte eine sechs-Zimmer-Wohnung mit ihm in der Tschaikowski-Straße 8.

Viola hat sich dann das Leben genommen. Das war schon heftig. Ich war längst in der Sachsenmetropole.

Mit Achim verband mich eine dubiose Freundschaft von gegenseitiger Bewunderung sowie von Anfällen heftiger Kritik.
Er war der Studierte, ich der Dilettant.
Ich war Texter, er „nur“ Sänger.
Er war verspannt. Ich locker und spontan.
Er war die Ernsthaftigkeit in Persona, ich war der Schalk.
Er musste um Beifall ringen, mir fiel er zu.

Am meisten missfiel ihm nicht mein hundsmiserables Gitarrespiel, im Gegenteil, von einem ehemaligen Heizer hatte er wohl nicht viel mehr erwartet. Er gab mir mordsgeduldig Unterricht.

Aber wie ich auf der Bühne saß, die Haare übers Gitarrenloch hängen ließ während der Zwischenspiele und träumerisch die Augen geschlossen, meist krummbucklig, um dann den nächstens Vers um so deftiger und geradliniger ins Publikum zu schleudern, darüber konnte er sich ärgern.

Er erklärte mir, dass man gerade dasitzen müsse und zu dem stehen, was man singt. Wenn ich mir heute die Fotos aus den 80ern von Jochen Janus und Bernd Heinze anschaue, dann sitzt Achim meist gebeugt über seiner Gitarre. 

Joachim Schäfer (Foto: Jochen Janus)

Nach meinen Premieren, die er meist besuchte, erhielt ich wenige Tage später einen mehrseitigen Brief von ihm. Er fand so ziemlich jede Kleinigkeit heraus, die mir danebengegangen war, die andere Hälfte davon waren Attitüden, die ich seinem Stil zuordnete, selber aber nie vorhatte, sie zu kopieren. Ich nahm es zur Kenntnis und bedankte mich sogar noch für die schonungslose Kritik. Das konnte Achim schwer ab. Er erwartete regelrecht, dass ich es ihm nachtrage.

Wenigstens etwas war ich dem Unterhaltungsgenre zugehörig: mit meinen Beulenspiegeliaden. Und einigen witzigen Seitenschlenkern. Ansonsten, ob ich es nun wollte oder nicht, bediente ich eine ähnliche Tiefgründigkeit, die Achim so einzigartig machte. Nur kompensierte er es nicht mit komplimentären Zwischentexten, sondern bei ihm ging die Reise immer ein Stockwerk tiefer hinein in die Seelengründe.Das war schwer zu händeln. Für den Interpreten selber und auch fürs Publikum. Und für den Wunsch nach einem heftigen Schlussapplaus. Ich bin einige Male mit Achim aufgetreten, kannte sein Repertoire. Und wusste, wie er es zusammenbaute. Konnte mich darauf einstellen. Es ist mir nie gelungen, Achims Schlussapplaus zu übertreffen. Und gestand ihm zu, der Bessere zu sein.

Dass Achim Ende der 80er tatsächlich noch ein Berufsverbot verpasst bekam, habe ich erst jetzt erfahren. Ich weiß noch, wie ich 88 immer mal bei der Bezirkskommission vorbeischaute, wenn ich wieder mal glaubte, mein jüngster Auftritt in der Hundsprovinz sei der letzte gewesen und dann fragte ich nach, ob denn wieder mal Beschwerden aus den Bezirken über mich vorlägen. Die netten Mädels schüttelten ihr hübschen Köpfchen und einmal meinte eine: „Du nicht, aber mit Achim gibt’s Probleme.“

Achim litt darunter, sich als Unterhaltungskünstler mit Schwerpunkt auf Ersterem verkaufen zu müssen. Es brachte ihm wenig Auftritte und die waren schwierig genug. Ich mit meiner Bissigkeit konnte sogar mal in Jugendklubs zwischen Diskotheken auftreten. Schon wegen meiner langen Haare und meinem schnoddrigen Habitus hörten sie mir zu. Achim schrieb wutige Briefe an Rundfunk und Fernsehen. Sie würden den Geschmack verderben mit ihren verdorbenen Sendungen. Ich glaube, er hat nie eine Antwort erhalten. Darüber konnte er sich aufregen. Ich verachtete die DDR-Medien so sehr, dass ich sie keines Ohres würdigte. Ich besaß keinen Fernseher. Nur einen Walkman.

Achim Schäfer singt bei der Ausstellungseröffnung J.Heisig-Giebe-Libuda 1984 in Karl-Marx-Stadt. (Foto: Archiv Sabine Schäfer)

Dass wir ihm wegen seines Berufsverbotes nicht helfen konnten, ärgert mich heute. Dass ich es nicht einmal wusste, ärgert mich noch mehr. Mir hatten damals, als ich in der Patsche saß, alle geholfen. Achim auch. Ich erinnere mich, dass einer der Leipziger Diakone Achim regelmäßig zu Kirchenveranstaltungen einlud, weil er viel von ihm hielt und vor allem den seelischen Tiefgang seiner Chansons. Anfangs waren mir Achims Lieder aufgesetzt. Ich verstand kaum die Hälfte und der „Druck“, mit denen er manches hervorquetschte, reizte mich zum Grinsen. Nach und nach habe ich ihn schätzen gelernt. Auch, dass Achims Person und sein Repertoire indentisch waren.

Bei meinen Besuchen in der Tschaikowski-Straße 8 lernte ich Mitte der 80er seine Frau und einmal auch seine Mutter kennen. Es war ein Blick und ich hatte verstanden, was uns beide miteinander verband. Seine Mutter trug wie die meine einen Dutt, der damals vollkommen aus der Mode war und sah der meinen nicht etwa nur ähnlich, sie war genauso übergriffig, verschlingend und vereinnahmend wie sie. Achim und ich rangen unser ganzes halbes Leben darum, davon loszukommen, auszubrechen, es herunterzuspielen, wegzublödeln oder zu vermeiden. Jeder auf seine Weise. Und wenn es hart auf hart kam, zappelten wir beide auf der Nabelschnur zwischen Sein und Nichtsein.

Nach dem Zusammenbruch des Kultursystems, nachdem die Menschen ihre Identitäten weggeworfen hatten, waren unsere Lieder nicht mehr vonnöten. Nicht die kritschen. Nicht die tiefgründigen.

Meine nicht. Achims auch nicht.
Ich sang manchmal im Westen, in der Schweiz oder in Polen, in Wien oder in Minsk.
Und hatte noch ein zweites Talent: Schreiben.
Achim setzte alles auf eine Karte und spielte eine CD ein.
Danach verließ er dieses Land, diese Welt.

Für unsere Lieder war damals keine gute Zeit. Mehr.

 

© Sabine Heide Schäfer 2024